Morton1905

14.01.2015., srijeda

Europa

3111 Völker Illustrierrte Völkerkunde Stuttgart 1926 Verlegt von Strecker und Schröder Dr. Georg Buscchan II Zweiter Teil Die Völker Europas in sprachlicher Gliederung Bevölkerungszahl 1925.

Europa
Die indogermanischen Völker des Erdteils
Von Professor Dr. Michael Haberlandt
I. Allgemeines
1. Die allgemeinen Entwicklungsfaktoren:
Boden. Geschichte und Rasse

Wiewohl Europa vom rein geographischen Standpunkt nichts anderes als die westliche Halbinsel des großen asiatischen Kontinentes darstellt, so hat es doch seine völker- und kulturgeschichtliche Selbständigkeit seit ältester Zeit in ganz einzigartiger Weise zum Ausdruck gebracht. Trotz seiner verhältnismäßigen Kleinheit ist unser Erdteil der eigenartigste und ungleich bedeutungsvollste Schauplatz für die Entwicklung des Menschengeschlechtes geworden, zu dessen Führerin und Erzieherin sich seine Bevölkerung und seine Kultur aufschwang. Wenn wir die verheißungsvollen Kulturanfänge der Diluvialzeit im westlichen Europa als den Beginn des europäischen Völker- und Kulturaufbaues ins Auge fassen, ist es ein halbes Jahrhunderttausend an Kultur- und Völkerleben, das wir in unserem Erdteil zu überschauen vermögen. Nicht um eine Geschichte der europäischen Kultur handelt es sich aber in diesem Abschnitt, sondern um eine Darstellung der geschichtlich gewordenen Völkerwelt Europas und ihrer unablässigen Wandlungen. Die einzelnen Völkergestalten, die sich auf diesem geographisch wie geschichtlich bestimmten Lebensraum in bestimmter Eigenart entwickelt haben, wollen wir kennenlernen.
Die europäischen Volksgebiete sind mit Unrecht von seiten der Völkerkunde bisher unbeachtet geblieben. Der Hauptgrund hiefür lag wohl in einem, wie sich mehr und mehr herausstellt, unberechtigten Skeptizismus bezüglich der ethnographischen Sachlage in uropa, Unser Erdteil als das Gebiet der menschlichen Hochkultur gilt vielfach als völkerkundlich verarmt, oder - von der anderen Seite gesehen - über die Betrachtung der Ethnologie hinausgewachsen.
Die Zeugnisse primitiverer Zustände, die Überleb sei unentwickelterer Verhältnisse seien in Europa nur noch in wenigen verkehrsarmen Gebieten und wirtschaftlich rückständigen Völkerteilen anzutreffen und genügten nicht, um daraufhin eine Ethnologie der europäischen Bevölkerung aufzubauen. Dem ist aber, wie eine nähere Untersuchung der europäischen Volksgebiete gelehrt hat, nicht so; nicht einmal für die Gegenwart, geschweige denn für die älteren Zeitläufte und Entwicklungsstufen des europäischen Völkerlebens, in die wir, dank der geschichtlich verfahrenden Altertums- und Volkskunde, ja einen sehr umfassenden und gründlichen Einblick besitzen. Die große Mehrzahl der europäischen Bevölkerungen hat in fast allen Staaten des Weltteils agrarischen Charakter und ist in Wirtschaftsform und Hauskultur noch gar sehr dem Herkommen, der Tradition unterworfen. In wenigen Staaten, hauptsächlich in Westeuropa, ist die traditionsfreie, tatsächlich modernisierte städtische Bevölkerung im Übergewicht; so in England (Wales), wo sie über drei Viertel der Gesamtbevölkerung, zwei Drittel in Schottland, darstellt, in Belgien, wo nur etwas über ein Fünftel der Bevölkerung von Land- und Forstwirtschaft sowie von der Fischerei lebt, in Frankreich, verschiedenen Teilen Deutschlands und Italiens mit ihrem starken Fortschreiten der Städtebevölkerung, während in den übrigen Ländern und Volksgebieten, namentlich im Norden, Osten und Südosten Europas die primitivere Bevölkerung mit Urproduktion und altartiger bodenständiger Kultur überwiegt. Überdies ist der Norden und der Osten des Erdteils vielfach die Heimat und das Rückzugsgebiet von Völkerstämmen asiatischen Völkerblutes, die sich der Vermischung mit ihrer eigentlich europäischen Nachbarschaft noch immer in Leiblichkeit und Kultur mehr oder weniger zu entziehen vermochten. Und selbst mitten in den fortgeschrittensten Bevölkerungen Mittel- und Westeuropas gibt es überall Schichten und Zonen, in denen sich die älteren volksmäßigen Zustände erhielten, wo zahlreiche höchst altartige Kulturelemente technologischer, wie geistiger und sittenkundlicher Art noch in Kraft und Leben stehen, wie uns die Volkskunde sämtlicher Kulturvölker zu unserer großen Überraschung gelehrt hat. Also nicht nur das Alteuropa der Altertumskunde und wie es sich im Spiegel der Volkskunde zeigt, sondern auch die größere Hälfte des Erdteils in der Gegenwart selbst ist, wie irgendein Völkergebiet der Erde, ethnologisch vollauf zu erfassen.

Oznake: europa


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