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Was vom Protest übrig blieb
Punk's not dead? Von wegen. Ein Kongress in Kassel beerdigt die Bewegung. Und merkt es nicht
von Joachim Bessing




Der Vortragsraum ist dicht bestuhlt, an den Stellwänden ist aus Pressespiegeln eine Wandzeitung collagiert: "Punk im Spiegel der Presse 1975-82". Styling-Tipps aus den damaligen Ausgaben der "Bravo" ("Schreiben Sie mit Filzstift auf das T-Shirt Worte wie SEX und NOW"), Reportagen aus "Tagesspiegel", "Bild" und "Stern". Schlagworte aus der Hochphase des Punks sind farbig herausgearbeitet: "Punk's not dead" und "No Future". Der Zwiespalt des Punk-Gefühls, bestehend aus Endzeitdämmer und Nicht-sterben-Wollen, um den es dann auch an diesem Tag, drei Jahrzehnte später, in Kassel noch gehen soll.


Nach einem schwer verständlichen Vortrag des slowenischen Kulturwissenschaftlers Sezgyn Boynik über die kunsthistorische Dimension des Punks füllt sich der Raum recht rasch. Einige Teilnehmer tragen zumindest T-Shirts, die mit Totenköpfen bedruckt sind. Der Wirt beginnt mit dem Ausschank erster Biere, einige zünden sich Zigaretten an. Dick Hebdige, in den Siebzigern bekannt geworden als Autor eines Buches über Subkulturen, beginnt seinen Vortrag mit seiner Analyse des Produktdesigns eines Deodorants der Marke "French Connection United Kingdom": Bei dem Aufdruck FCUK handele es sich offensichtlich um ein Anagramm des Punk-Wortes "Fuck". Außerdem verwende der Hersteller des Deos eine Schrift, die sich deutlich anlehne an die Covergestaltung der ersten Schallplatte der Sex Pistols. Zu den Errungenschaften des Punks rechnet Dick Hebdige übrigens die Befreundung mit dem Unreinen, dem Müll und dem Schmutz. Sich auch einmal länger nicht zu waschen und keine Angst vor Speichel et cetera zu haben, sei sinnvoll, da es die Abwehrfunktionen des Menschen stärke. Dabei war es eine solche Befreundung mit Speichel, die für einen schlimmen Unfall in der Geschichte des Punks sorgen sollte: Auf einem Konzert der Gruppe The Clash spuckte ein Zuhörer deren Sänger Joe Strummer in den Mund. Strummer wurde dadurch mit Hepatitis B infiziert, erkrankte schwer und das Erscheinen des legendären Albums "London Calling" verzögerte sich um beinahe ein Jahr. Hebdige, heute Professor für Kulturwissenschaften in Florida, erzählt dann noch von einem denkwürdigen Erlebnis, neulich in Spanien: Auf dem dortigen Punk-Kongress seien ihm jüngere Zuhörer aufgefallen, die sich mit Schlächterkapuzen und Attrappen von Sprengstoffgürteln ausstaffiert hatten. Währenddessen wird in einer Nische des Kasseler Cafés bereits ein slowenischer Merchandising-Stand aufgebaut, der T-Shirts verkauft mit den Aufschriften "Allah save the USA", "Djihad", aber auch "Animals are my friends and I do not eat my friends". Mittlerweile ist jeder Stuhl des Tagungsraums besetzt. Eine junge Frau mit Irokesenfrisur nutzt die Pause, um sich auf die Prüfung zur staatlich anerkannten Erzieherin vorzubereiten. Der Disc-Jockey legt aus seinem Vorrat seltener Punkrock-Singles auf, das Mikrofon des Moderators sorgt für Rückkopplungen, dann endlich kommt Malcolm McLaren.
Er, der wahrscheinlich einzige Punker der ersten Stunde, der mit Punk richtig reich geworden ist, sieht geradezu verhuscht aus. Er trägt einen Regenmantel und eine seltsame Handtasche aus ähnlichem Stoff. Sein als "multimedial" angekündigter Vortrag besteht en détail aus einem TV-Porträt eines französischen Senders und den Hörbeispielen seiner nächsten CD. McLaren erklärt sehr genau, wie es bei der Erfindung von Punk zugegangen war: Er, Sohn eines Textilfabrikanten, habe in London einen Laden für Sex-Kleidung eröffnet. Er wollte T-Shirts verkaufen und sei auf der Suche nach einer Band gewesen, die ihm dabei helfen sollte, noch mehr T-Shirts zu verkaufen. Die schnöde Geschichte vom reinen Marketing-Gag "Punk" federt McLaren aber geschickt ab, indem er zugleich seine pathetische Theorie des Scheiterns entwirft, in die sich sein eigener Werdegang bis heute, das Ende von Punk (damals) sowie eigentlich alles integrieren lässt, was bis dahin noch als Frage offen geblieben war. Und das war immerhin eine ganze Menge. Sogar Kassel, als Stadt und Austragungsort des Kongresses, plötzlich sogar der gesamte Kongress mitsamt allen Teilnehmern, T-Shirt-Stand und dem eifrig zapfenden Wirt - alles geht auf in dieser höllisch guten Schöpfungsgeschichte, die Malcolm McLaren entwickelt. Nach zwanzig Minuten gibt der Redner vor, er wisse nun nichts weiter zu erzählen. Stattdessen lässt er die Stücke seiner CD abspielen - eines so grausam auf der Höhe unserer Zeit wie das andere. Keiner schreit, niemand stürmt das Podium, keine Bierdose fliegt. Und es wird auch nicht gespuckt.


Artikel erschienen am 3. Oktober 2004


Post je objavljen 12.10.2004. u 09:25 sati.