This is an interview I gave to Lukas Wieselberg, journalist of the ORF.
Jungakademiker für ethnische Versöhnung am Balkan
Als die Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren begannen, spielten Akademiker eine bedeutende Rolle. Franjo Tudman war Historiker, Slobodan Milosevic und Alija Izetbegovic waren Juristen. Auf allen Seiten nährten Intellektuelle und Akademiker den nationalistischen Wahn. Nach den blutigen Zeiten soll nun eine neue, junge Generation an Wissenschaftlern zu einer Versöhnung der Volksgruppen beitragen. Das ist das Ziel einer Initiative, die am Donnerstag anlässlich einer Konferenz in Wien vorgestellt
science.ORF.at: Was waren die Hauptgründe für die Bildung des "inter@nic Netzwerks"?
Antonija Petricusic: Das Netzwerk wurde 2007 gegründet, weil es bis dahin kaum Verknüpfungen von wissenschaftlichen Institutionen in Südosteuropa gegeben hat. Ich habe damals als Forschungsassistentin der Uni Graz an Projekten gearbeitet, die sich mit Balkanländern beschäftigt haben. Dabei habe ich die mangelnde Qualität der Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen am Westbalkan sehr praktisch erlebt.
Mir ist so die Idee gekommen, dass man ihre Wissenschaft verbessern könnte, wenn man junge Forscher versammelt, die sich mit einem einzigen, aber breiten Thema beschäftigen - der Versöhnung der Bevölkerungsgruppen. Das inter@nic Netzwerk war gedacht als Forum für Ideen, aber auch für Forschungsresultate von jungen Wissenschaftlern am westlichen Balkan.
Wie viele Menschen nehmen teil? Was sind die aktuellen Pläne?
Zurzeit besteht das Netzwerk aus 200 Personen, die Mehrheit von ihnen wohnt und arbeitet nicht am Balkan. Das alleine zeigt schon, dass es dort Probleme mit der Kooperationen zwischen den akademischen Institutionen gibt. Und genau hier möchte das inter@nic Netzwerk ansetzen.
Wir haben bereits mit großem Erfolg eine Konferenz organisiert und wollen die Resultate im nächsten Schritt publizieren. Dann möchten wir uns in einem Projekt den Beziehungen zwischen den Volksgruppen in Kroatien widmen. Dabei soll es um die Fragen gehen, wie die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft die Gesellschaft beeinflusst und die Gesetzgebung für Minderheiten verbessert. Hoffentlich erhalten wir dafür die nötigen Förderungen!
Wie haben sich die persönlichen Beziehungen zwischen Wissenschaftlern auf dem Westbalkan im Vergleich zu der Situation vor dem Krieg verändert?
Ich glaube nicht, dass der Krieg die Beziehungen drastisch geändert hat. Jene Wissenschaftler, die in Ex-Jugoslawien kooperiert und ihre Studien gelesen haben, sind vermutlich weiter in Kontakt gestanden - trotz des Kriegs.
Wirklich geschädigt wurden die jungen Wissenschaftler: jene, die unter den autoritären Regierungen studiert haben, die wegen der strengen Visabestimmungen nicht in andere Länder reisen durften, die in ihren Ausbildungsjahren den nationalistischen Stimmungen ausgesetzt waren ... Unser Netzwerk wurde gegründet, um genau diese Menschen zu erreichen. Sie sollen eine Chance haben, Artikel auszutauschen, gemeinsame Projekte voranzubringen und - idealerweise - dazu beizutragen, dass es wieder eine Zusammenarbeit zwischen den akademischen Institutionen auf dem Westbalkan gibt.
Glauben Sie wirklich, dass die Wissenschaft - und ihre Wissenschaftler - zur ethnischen Versöhnung beitragen können - und wenn ja, wie?
Ich denke, dass Wissenschaftler und Akademiker eine Schlüsselrolle im Versöhnungsprozess spielen. Zum einen weil ihre wissenschaftliche Objektivität dazu beitragen kann, die unmittelbare Vergangenheit objektiv zu reflektieren. Wahrscheinlich tragen die Sozialwissenschaftler - Soziologen, Juristen, Historiker, Anthropologen - dabei die größte Verantwortung. Zum anderen können sie als Erzieher ihren Studenten klarmachen, dass ethnische Unterschiede keine Gefahr darstellen, sondern eine Bereicherung - und somit die Flammen des Nationalismus zügeln.
Wenn wir an die Ursprünge der Jugoslawienkriege denken, haben Wissenschaftler aber doch eine sehr traurige Rolle gespielt: Tudman war Historiker, Milosevic und Izetbegovic Juristen, das berühmte Sanu-Memorandum stammte von der Serbischen Akademie der Wissenschaften. Akademiker haben auf allen Seiten nicht gerade "wissenschaftlich objektiv" gedacht, sondern den Nationalismus angestachelt. Warum glauben Sie, dass sich da etwas geändert hat?
Es ist bedauerlich, dass die nationalistischen Führer der 1990er Jahre mit der Wissenschaft verknüpft sind. Sie haben natürlich Recht: Diese Intellektuellen, die im Kommunismus aufgewachsen sind und in den neuen Nationalstaaten zu Führungspersönlichkeiten wurden, haben die jüngste Gewaltgeschichte am Balkan mitgeprägt.
Ich glaube aber nicht, dass der Anstieg des Nationalismus eine reine Folge ihrer inadäquaten Rolle war. Wir sollten nicht vergessen, dass sich die Spirale mit dem serbischen Nationalismus in den späten 1980er Jahren zu drehen begann. Danach kamen andere nationalistischen Bewegungen hinzu, die die serbische Hegemonie fürchteten. Wissenschaftler hätten in dieser Phase eine aktivere Rolle spielen und die nationalistischen Politiken delegitimieren sollen.
Aber wichtiger für die ethnische Mobilisierung als die Wissenschaft, die damals - zum Teil auch freiwillig - zum Schweigen gebracht wurde, waren die Medien, die Armee und sogar die religiösen Führer. Die politischen Änderungen nach 2000 haben gezeigt, dass Wissenschaftler in demokratischen Umgebungen eine viel prominentere Rolle spielen.
Welche Erinnerungen haben Sie persönlich an die Balkankriege? Und wie hat das Ihr Eintreten für das inter@nic network beeinflusst?
Als der Krieg in Kroatien begann, war ich ein Teenager. Ich war erschüttert, als die Flüchtlinge in meine Heimatstadt Zagreb strömten. Da die gesamte Familie meiner Mutter aus Nordbosnien fliehen und eine Zeit lang bei uns wohnen musste, habe ich einiges vom menschlichen Leid des Kriegs mitbekommen. Zum Glück habe ich seine gewalttätigen Aspekte nicht aus erster Hand erlebt.
2001/2002 habe ich in Sarajevo mein Masterstudium absolviert und dabei meine Ansichten über die Balkankriege geändert. Ich habe die jüngste Vergangenheit dort mit den Augen der Moslems gesehen, einer anderen ethnischen Gruppe, die mit den Kroaten in Konflikt gestanden ist. Ich merkte, dass die Geschichtsinterpretation, wie ich sie durch Medien und Erziehung erfahren habe, nicht immer der Realität entsprochen hat.
Und ich habe meine eigene Ignoranz verabscheut. Mir wurde die persönliche Verantwortung klar, das sogenannte "Andere" kennenzulernen, die Gleichheiten der Kulturen anzuerkennen und sich an ihren Unterschieden zu erfreuen. Denn die bereichern unser Leben, wenn wir es nur zulassen.
Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Wissenschaftlern aus anderen Nationen, gibt es da noch Ressentiments von Ihnen oder von Kollegen, die vielleicht nicht an Ihrer Idee und Ihrem Netzwerk teilhaben?
Ich unterscheide Kollegen nicht nach ihrer Nationalität oder Staatsbürgerschaft, sondern nach ihrer wissenschaftlichen Exzellenz und ihren persönlichen Leistungen. Vielleicht bin ich naiv, aber mir scheint, als ob die Wissenschaftswelt nicht so stark mit den ethnischen Kriegen infiziert war. Alle Forscher vom Westbalkan, denen ich bei verschiedenen Projekten und Konferenzen über den Weg gelaufen bin, waren nicht eine Sekunde lang intolerant.
Natürlich kenne ich nur mein eigenes Arbeitsumfeld. Ich weiß nicht, wie es ist, wenn z.B. Techniker zusammenkommen. Ich bin aber überzeugt, dass Akademiker zur Versöhnung zwischen den Volksgruppen beitragen und unsere Länder sicherer machen können, offener für Unterschiede und lebenswerter. Das ist es, worauf unser Netzwerk abzielt!
Wenn sich ein Wunsch erfüllen ließe, welcher sollte es sein?
Nur einer? Ich habe so viele! OK, wenn es unbedingt sein muss: Dann würde ich mir ganz egoistisch wünschen, dass die Welt, in der mein Sohn aufwachsen wird, eine sein wird ohne ethnische Konflikte, Hass und Gewalt. Ich wünsche mir für uns alle eine Welt, in der Menschen Diversität schätzen und sie nicht fürchten oder für ihre eigenen Zwecke benutzen.
Post je objavljen 04.12.2008. u 07:45 sati.